Langsam, aber sicher begibt sich auch der Deutsche Bundestag in den Wahlkampf-Modus. Das hat vor allem Auswirkungen auf die regelmäßigen Debatten im Parlament, denn in den Jahren von Bundestagswahlen finden nach der turnusmäßigen zweimonatigen Sommerpause ab Anfang Juli keine Debatten und Abstimmungen im Bundestag statt, die Zeit investieren die einzelnen Parteien dann in die heiße Wahlkampfphase. Das bedeutet konkret: Diese Woche ist die vorletzte Woche, die mit Entscheidungen um Gesetzesentwürfe und Anträge gefüllt ist. Gewohntermaßen werden die letzten Abstimmungen der endenden Legislaturperiode genutzt, um Wahlversprechen auf den letzten Drücker in die Tat umzusetzen – auch, um kurzfristig noch einmal einen guten Eindruck bei potentiellen Wählerinnen und Wählern zu hinterlassen. Das ist in diesem Jahr nicht anders, in dieser Woche gibt es zu viele spannende Themen, als dass wir uns im Vorfeld für einen speziellen Entwurf oder Antrag entscheiden konnten. Stattdessen werfen wir komprimiert den Blick auf drei der wichtigsten Themen in dieser Woche – all das im Bundestag XXL.


  1. Gesetzesentwurf der Großen Koalition: Verschärfung und Konkretisierung der Frauenquote

Im April 2015 beschloss die damalige Große Koalition aus Union und SPD das sogenannte “Ersten Führungspositionen-Gesetz”, durch das die Stellung der Frau – besonders in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft – gestärkt werden sollte. Einige Zahlen verdeutlichen exemplarisch, warum ein Umdenken bei dem Thema notwendig war: Gerade einmal 5,3 Prozent der Vorstandsplätze der 100 größten Unternehmen in Deutschland wurden 2015 von Frauen besetzt, in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen waren es gut 18 Prozent. 

Folglich wurde schon damals zum Einen eine fixe Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte festgelegt, zum Anderen beschlossenen die Abgeordneten eine flexible Quote in anderen Führungspositionen börsennotierter Unternehmen. Das Resumée fünf Jahre nach der Einführung fällt gemischt aus, Beispiele gibt es sowohl für den Erfolg als auch für den Misserfolg der Quote: So konnte zwar in Aufsichtsräten der verpflichteten Unternehmen bereits im Jahr der Verabschiedung die 30-Prozent-Schwelle geknackt werden, in den Führungspositionen mit einer flexiblen Quote blieben die Frauen allerdings weiterhin stark unterrepräsentiert. Der Anteil von Frauen an Plätzen in Vorständen stieg zwar im Vergleich zu 2017 an, kam aber auch 2020 über 11,5 Prozent nicht hinaus. Auch in anderen Wirtschaftszweigen – wie bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung oder in Bereichen des öffentlichen Lebens – sind Frauen in der Regel unterrepräsentiert. Während also im weltweiten Vergleich andere Länder wie die USA – wo der Anteil von Frauen in Führungspositionen doppelt so hoch ist – aber auch europäische Partner wie Frankreich oder Schweden großen Erfolg bei der Gleichstellung des weiblichen Geschlechts in der Wirtschaft haben, kommt das Vorhaben hierzulande nicht so recht in Fahrt.

Ein großes Problem ist, dass die Unternehmen selbst häufig keinerlei Bemühung zeigen, um eine Verbesserung der Positionen der Frauen herzustellen. Vielmehr scheinen sie schon langfristig gezielt Männer für die angebotenen Stellen einzuplanen. Als Beweis dafür dient die Zielgröße für die kommenden Jahre, die Firmen in vielen Fällen auf Null setzen. Frauen scheinen oft also nicht einmal eine Rolle in der Planung zu spielen.

Die Bundesregierung plant daher nun mit dem “Zweiten-Führungspositionen-Gesetz” noch in dieser Legislaturperiode eine Korrektur der damaligen Regelung. Konkret möchte sie verbindlichere Regelungen vereinbaren, um Frauen in Zukunft tatsächlich in größerem Maße in Führungspositionen zu etablieren. Dazu soll unter anderem im Bereich der flexiblen Quote nachgebessert werden. Diese soll grundsätzlich bestehen bleiben, allerdings soll es Unternehmen gemäß dem neuen Entwurf nicht mehr ohne Weiteres erlaubt sein, die Zielgröße Null anzugeben. Sanktionen bei Nicht-Einhaltung sind im Entwurf erwähnt, werden allerdings nicht konkret ausgeführt. Ebenso soll Unternehmen bei Vorständen von höchstens drei Mitgliedern weiterhin nicht vorgeschrieben werden, wie hoch der Anteil von Frauen in diesen sein muss. Auch bei größeren Vorständen von mindestens vier Personen muss nur ein Mitglied verpflichtend eine Frau sein, dazu heißt es im Entwurf: “Dieses Mindestbeteiligungsgebot auf Vorstandsebene ist keine Vorstandsquote im eigentlichen Sinne, da kein bestimmter Frauenanteil vorgeschrieben wird.” Dennoch erhofft sich die Große Koalition von dem neuen Entwurf eine “Signalwirkung für die Zielgrößensetzung in anderen Unternehmen”.

Auch über Anträge anderer Fraktionen zum Thema wird am Donnerstag diskutiert. Die meisten konkreten Vorschläge liefert dazu die FDP in ihrem Antrag. Besonders geht sie gezielt weit über den Antrag der Großen Koalition hinaus, indem herausgestellt wird, dass eine Quote bei Vorständen von mehr als drei Mitgliedern zu kurz greife, da so momentan nur für 25 Unternehmen eine Veränderung notwendig wäre. Vielmehr möchte die FDP die generellen Rahmenbedingungen der Arbeit verbessern, damit Frauen tatsächlich eine faire Chance in der Wirtschaft haben. Ein Beispiel für diese Rahmenbedingungen ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu gehört als ein Aspekt, dass es Frauen ermöglicht werden solle, sich flexibel “eine Auszeit für familiäre Verpflichtungen” nehmen zu können – bisher führe dieser Schritt häufig zu einem zeitweiligen Ausscheiden aus Führungspositionen. Ein weiteres Argument des Antrags bezieht sich auf eine familienfreundliche Kinderbetreuung an sich, die durch die Etablierung von Betriebskindertagesstätten oder elternfreundliche Arbeitszeiten gefestigt werden soll.

In ihren Anträgen fordern die Fraktionen Die Linke und Bündnis90/Die Grünen besonders verbindliche Regelungen für alle wirtschaftlichen Bereiche und in der Folge spürbare Sanktionen, wenn sich Unternehmen nicht an die Regelungen halten. Der sogenannte “leere Stuhl” ist schon seit 2015 Teil des Gesetzes, er schreibt vor, dass Vorstandsplätze unbesetzt bleiben, wenn nicht Frauen sie einnehmen. Darüber hinaus müsse es aber laut des Grünen-Antrags auch “finanzielle Sanktionen” geben. 

  1. Antrag von Die Linke: Einführung einer 40-Stunden-Woche

Auch der nächste Antrag, der in dieser Sitzungswoche diskutiert werden soll, hat direkt mit der Arbeitswelt zu tun und kann sogar in direktem Verhältnis mit der oberen Debatte zur Frauenquote stehen – dazu im Laufe des Artikels mehr. Allerdings proklamiert Die Linke, dass die Einführung einer 40-Stunden-Woche auch in andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausstrahlen könne – zum Beispiel habe die Wochenarbeitszeit auch eine gesundheitliche Dimension. Es scheint ein Thema zu sein, das viele Menschen bewegt, ist der Antrag bei uns in der App doch einer mit den meisten Abstimmungen in dieser Legislaturperiode. Schauen wir also genauer hin, auf den Antrag, der viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.

Zurzeit lässt sich die Situation für Beschäftigte laut des Antrags in etwa so zeichnen: Die Arbeitszeiten werden immer flexibler ausgestaltet, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren davon allerdings nur sehr bedingt, da die Arbeitszeit weiterhin in der Regel von deren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bestimmt wird. Das habe eine stärkere Fremdbestimmung über die Arbeitszeit und schlussendlich eine Intensivierung der Arbeit zu Folge. Statistisch lässt sich diese Behauptung durchaus unterstützen, arbeiteten doch trotz der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeit 2017 allein 11,4 Prozent der deutschen Beschäftigten mehr als die derzeit zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. Eine Änderung dieses Status Quo müsse angestrebt werden, um eine “Umverteilung von Arbeit” zu erreichen – auch für die Gesundheit der Menschen. 

So könnte Symptomen wie Überlastung und Stress, die in direktem Zusammenhang mit zu langen Arbeitszeiten stehen, entgegengewirkt werden. Gleichzeitig könne die gewonnene Zeit für Ehrenämter oder die eigene Familie genutzt werden. So gesehen kann auch in einer Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden eine familienfreundlichere Regelung gesehen werden. Eine weitere Parallele zum vorherigen Entwurf lässt sich darin finden, dass eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit positive Auswirkung auf die Erwerbstätigkeit von Frauen haben könnte. Aufgrund der fehlenden Ausgeglichenheit der Geschlechter würde eine Verkürzung momentan zum größeren Teil Männer betreffen, die sich zudem eine Reduzierung der Arbeitszeiten wünschen. Frauen wiederum streben mehr und mehr nach einer Aufstockung des bisherigen Arbeitsvolumens oder der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Eine 40-Stunden-Woche könnte also auch auf natürliche Art und Weise positiven Einfluss auf das Erreichen einer Frauenquote haben. 

Die Linke fordert allerdings nicht nur eine Höchstzahl an wöchentlichen Arbeitsstunden, sondern auch eine Mindeststundenanzahl von 22 für Arbeitsverträge. Damit könne laut Fraktion der Anhäufung unbezahlter Überstunden vorgebeugt werden. Eine Verbesserung wäre in diesem Bereich dringend notwendig, so waren in 2020 mehr als die Hälfte der getätigten Überstunden unbezahlt – das entspricht ungefähr 500.000 Vollarbeitsplätzen. Ein weiterer Schritt, der einen “Lohnraub der Unternehmer” in Zukunft verhindern soll, ist eine genaue Dokumentation und eine darauf fußende finanzielle Entlohnung der Arbeitszeit.

Dieser arbeitnehmerinnen- und arbeitnehmerfreundliche Antrag der Linken-Fraktion zielt auf eine starke Reduzierung der Höchstarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden ab. Dazu muss allerdings Folgendes angemerkt werden: Bereits in der Vergangenheit ist die effektive Arbeitszeit in Deutschland zurückgegangen. Ganz allgemein nimmt die Arbeitszeit im Durchschnitt bereits seit 1991 stetig ab. 2019 betrug das wöchentliche Volumen für Vollzeitkräfte 41 Stunden, was nicht weit entfernt von der Forderung der Linken ist. Auch in einem kürzeren Zeitraum allerdings lassen sich positive Entwicklungen verzeichnen: Während 2017 – wie von den Linken in dem Antrag erwähnt – noch 11,4 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland mehr als 48 Stunden gearbeitet haben, waren es 2019 nur  9,7 Prozent – für die Dauer von zwei Jahren ein deutlicher Rückgang. Es bleibt also zumindest fraglich, ob ein weitgehender gesetzlicher Eingriff hier überhaupt notwendig ist. Dringender scheint eine stärkere Regulierung der Teilzeitarbeit mit der erwähnten Mindestarbeitszeit von 22 Stunden für Arbeitsverträge. Die Debatte am Donnerstag verspricht in jedem Fall spannende Diskussionen.

  1. Gesetzesentwurf der großen Koalition: Modernisierung der Bundespolizei

Doch auch abseits der Wirtschaft erwarten uns diese Woche einige spannende Abstimmungen und Debatten. Es soll beispielsweise das Bundespolizeigesetz reformiert werden, das größtenteils noch Bestimmungen aus dem Jahre 1994 enthält. Aus Sicht der Großen Koalition sei eine Modernisierung unter anderem aus dem Grund erforderlich, dass das Bundesverfassungsgericht im April 2016 das Bundeskriminalamtgesetz (BKA-Gesetz) für teilweise verfassungswidrig erklärt hat. Besonders in Bezug auf die Übermittlung personenbezogener Daten zur Terrorabwehr musste zu dem Zeitpunkt maßgeblich nachgebessert werden. Als Legitimierung der hier angestrebten Reform schreiben die Verantwortlichen von Union und SPD von einem “Grundsatzurteil zum polizeilichen Datenschutz”. Sie möchten daher auch auf bundespolizeilicher Ebene Richtlinien schaffen, die sich am Urteil des Bundesverfassungsgerichts orientieren und Kernbereiche privater Lebensgestaltung stärker schützen.

Ein wichtiges Element bei datenschutzrechtlichen Fragen bei der Bundespolizei ist die Überwachung von Verdächtigen. Diese solle auch weiterhin eine Kernkompetenz der Beamtinnen und Beamten bleiben, allerdings solle vorgeschrieben werden, dass Überwachungen – zum Beispiel von Telekommunikation – gestoppt werden müssten, wenn “Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden”. Weitere Verschärfungen sind für die Übermittlung dieser Daten an nationale und internationale Stellen vorgesehen. Konkret dürfen die empfangenen Behörden die erhaltenen Daten nur für die Zwecke weiterverarbeiten, für die sie ursprünglich weitergeleitet wurden. Des weiteren soll auch die Übermittlung an sich genauer kontrolliert werden, hier bleibt der Antrag allerdings relativ schwammig, es heißt dazu lediglich: “Die Übermittlung unterbleibt, wenn für die Bundespolizei erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen.” Diese Formulierung suggeriert eine große Subjektivität bei der Beurteilung und lässt daher eine Kontrollierbarkeit der Übermittlung anhand von objektiven Kriterien vermissen.

Der Entwurf enthält neben genaueren Bestimmungen zum Datenschutz weitere, eher nebensächlich behandelte Aspekte, die allerdings durchaus nennenswert sind: Die Bundespolizei erhält zusätzliche Kompetenzen, wie das in §38a festgehaltene Aufenthaltsverbot. Die Beamtinnen und Beamten können bei Verabschiedung des Entwurfs bestimmten Personen den Aufenthalt an bestimmten Orten für höchstens drei Monate untersagen, wenn das Risiko auf eine Straftat in Zusammenhang mit diesem Ort besteht. Auch in Fragen der Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer soll der Bundespolizei mehr Handlungsmacht zugestanden werden. Schlussendlich sollen auch Teile des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) neu ausgerichtet werden. Zum Beispiel soll ein sogenannter “finaler Rettungsschuss”, der in besonderen Situationen wie Geiselnahmen oder Terroranschlägen einen Schusswaffengebrauch zur Gefahrenabwehr notwendig machen könnte, auf einer sicheren Rechtsgrundlage ausgeführt werden können. Kritik an dem Entwurf gab es nach der ersten Beratung im Bundestag unter anderem von Datenschutzbeauftragten und der Organisation “Pro Asyl”.

Es lohnt sich aber auch abseits dieser Themen ein Blick in unsere App, denn es stehen noch weitere spannende Themen wie die Ganztagsbetreuung, eine Neugestaltung des Verfassungsschutzes oder das Containern zur Disposition. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Wahl immer näher rückt, lohnt sich bei vielen Themen ein genauerer Blick. In zwei Wochen findet die letzte Bundestagsdebatte für diese Legislaturperiode statt. Auch dann werden wir die relevantesten Gesetzesentwürfe und Anträge wieder für euch in einem Spotlight XXL zusammen.