Die zahlreichen Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie bekamen im Sommer viel öffentliche Aufmerksamkeit. Zwar ging es zunächst um Infektionsausbrüche, in der Folge wurde aber nicht nur über Hygienebedingungen, sondern auch über Werkverträge und Leiharbeit diskutiert. Die Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie sind somit wohl in die Kategorie der Probleme einzusortieren, die schon vor der Pandemie existierten, durch sie aber noch deutlicher sichtbar wurden. Am Mittwoch, vorletzten Sitzungstag des Bundestages in diesem Jahr, stimmte das Parlament über das von der Bundesregierung eingebrachte Arbeitsschutzkontrollgesetz ab. Hubertus Heill, Chef des hierfür federführenden Ministeriums für Arbeit und Soziales, will damit den viel kritisierten Verhältnissen für Beschäftigte der Fleischindustrie ein Ende bereiten. Die der Abstimmung vorangegangene Debatte fassen wir in unserem letzten Recap 2020 zusammen.

Hubertus Heil eröffnete mit seinem Redebeitrag die Debatte. Laut ihm haben Interessenvertreter:innen der Fleischindustrie in der Vergangenheit schärfere Gesetze bezüglich der Arbeitsbedingungen oft verhindert, und wenn mal ein neues Gesetz kam, sei es durch undurchsichtige Unternehmensstrukturen, er sprach von „Sub-Sub-Sub-Unternehmerei”, umgangen worden. Er kritisierte weiterhin, dass konsequente Kontrollen durch unterfinanzierte Arbeitsschutzbehörden nicht möglich waren. Der Minister fasste anschließend die für ihn wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs zusammen, unter anderem sollen eben diese Arbeitsschutzbehörden aufgerüstet werden. Außerdem gibt es in Zukunft verpflichtende Prüfquoten für die Kontrollen, damit hygienische und menschenwürdige Bedingungen in Sammelunterkünften sichergestellt werden. Mit einer verpflichtenden digitalen Arbeitszeitaufzeichnung will er verhindern, dass Beschäftigte um ihren Lohn betrogen werden. Zudem sind Werkverträge in der Fleischindustrie ab Januar verboten, Leiharbeit ist nur bei Tarifverträgen erlaubt. Vor allem der letzte Punkt sollte im Zentrum der restlichen Debatte stehen.

Uwe Witt (AfD) und Carl-Julius Cronenberg (FDP) missfällt der Fokus auf Verbote in dem Gesetz. Beide betonen, statt neuen Regulierungen müssten die bereits bestehenden konsequenter durchgesetzt werden. Witt warf SPD und Union vor, die aktuellen Probleme selbst durch Einsparungen bei der Arbeitsschutzkontrolle verursacht zu haben und sagte voraus, viele Betriebe müssten nun die Fleischverarbeitung outsourcen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Auch Cronenberg wagte eine Vorhersage, und zwar dass das Gesetz aufgrund der enthaltenen Verbote noch vor nationalen oder europäischem Gerichten landen werde. Schließlich erwähnten beide Abgeordneten die saisonalen Schwankungen der Fleischnachfrage. Der berechtigte Einsatz von Leiharbeit zur Bewältigung von Auftragsspitzen werde im Gesetz unfairerweise mit dem Missbrauch dieses Instruments für die Schaffung billiger Arbeitsbedingungen gleichgesetzt.

Dieses Argument bezeichnete Jutta Krellmann von Die Linke als “Quatsch”, Milliarden von Gewinnen würden “auf dem Rücken von osteuropäischen Beschäftigten” gemacht. Als großes Problem für kleinere Filialen sieht sie die Massen von billigem Fleisch, die von deutschen Großbetrieben produziert werden. Ihre Partei stimme dem Gesetz aber dennoch zu, weil es ein guter Schritt in die richtige Richtung sei. Während sie anmerkt, Interessenvertreter:innen hätten bisher immer das Profitinteresse der Industrie verteidigen können, bemängelte die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke auch den kürzlichen Einfluss der Fleischlobby, wegen dem die Union das Gesetz in den letzten Monaten blockiert habe. Die Tatsache, dass Leiharbeit in der Fleischverarbeitung weiter erlaubt ist, wenn auch nur bei Tarifverträgen, erschwert aus ihrer Sicht zukünftig Kontrollen. Ihre Partei stimme dem Gesetzentwurf aber ebenfalls trotz Bedenken zu, um den Missbrauch von Werkverträgen zu bekämpfen.

Die Regierungsparteien widersprachen der Kritik der Opposition in einigen Punkten. Hermann Gröhe (CDU/CSU) sagte, Leiharbeit ermöglicht das Gesetz eben deshalb bei Tarifverträgen weiter, um die nötige Flexibilität aufgrund saisonaler Schwankungen zu erhalten. Stephan Stracke, ebenfalls aus der Union, verteidigte außerdem die Ausnahme aller Betriebe mit unter 49 Beschäftigten, weil Metzgereien wichtig für den ländlichen Raum und anders als Fleischfabriken zu behandeln seien. Parteikollege Peter Weiß behauptete, die Union habe in den letzten Monaten nicht blockiert, sondern die Zeit schlicht für ein gutes Gesetz gebraucht. Auf Krellmans Kritik, man würde einiges, was im Gesetz hätte geregelt werden müssen, den Gewerkschaften zuschieben, entgegnete er, man hätte ihnen ein Instrument an die Hand gegeben, mit dem sie arbeiten können. Aus diversen Zwischenfragen und entsprechenden Antworten von Weiß entstand anschließend eine ausführliche Diskussion über den Abgeordneten Karl Schiewerling und sein vergangenes Engagement in diesem Bereich. Im Gegensatz zu dem langen Austausch im Plenum lohnt sich tatsächlich ein genauerer Blick auf Schiewerlings Arbeit. In der letzten Legislaturperiode kündigte er mit einigen Kolleg:innen ein Gesetz zur Bekämpfung der schlechten Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie ziemlich kurzfristig an, wohl um den Einfluss der Fleischlobby zu umgehen.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage von Bundesminister Heil verständlicher, welche die Zwischendiskussion beendete. Er sieht die Verabschiedung des Gesetzentwurfs als Gegenbeispiel zur Behauptung, Lobbyist:innen würden statt dem Bundestag über Gesetze entscheiden. Auch Katja Mast (SPD) lobte ihre Partei und deren Minister, Lobbyinteressen hätten die Sozialdemokraten nicht vom Kurs abbringen können. Sie kritisierte zudem die Landesregierung aus Union und den Grünen in Baden-Württemberg, die nach dem Ausbruch in einer Fleischfabrik in Pforzheim, dem Wahlkreis der Abgeordneten, untätig gewesen sei. In der anschließenden namentlichen Abstimmung entschieden sich 473 Abgeordnete für den Gesetzentwurf, 152 stimmten dagegen und 5 enthielten sich. Zuvor wurden im Plenum Anträge von der FDP, AfD, Die Linke, und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.