Als im letzten Jahr die Black Lives Matter-Bewegung in den USA durch den Tod von George Floyd neu entfacht wurde, schwappte sie auch nach Deutschland. Hier wurde anschließend von vielen Seiten betont, man könne den Rassismus in Deutschland nicht mit den USA vergleichen. Obwohl man natürlich grundsätzlich alles vergleichen kann, erstmal stimmt die Aussage, dass die USA teilweise mit anderen Problemen zu kämpfen haben als Europa. Das gilt allerdings auch umgekehrt. So gehört für europäische Länder zur Auseinandersetzung mit Rassismus die Aufarbeitung ihrer Kolonialgeschichte. An diesem Punkt wird von deutscher Seite wiederum meistens argumentiert, andere europäische Länder wie Großbritannien und Frankreich wären ja viel schlimmer gewesen. Und auch hier ist zunächst etwas Wahres dran, denn die beiden Länder besaßen tatsächlich mehr und größere Kolonien.

Allerdings profitierten deutsche Handelsgesellschaften und Produktionszweige bereits vor den Zeiten des Kaiserreichs seit Jahrhunderten vom Sklavenhandel. Darüber hinaus sollte die Einordnung nicht in eine übermäßige Relativierung ausarten, deutsche Kolonien waren immerhin bezüglich Fläche sowie Bevölkerung unter den Top 5 in Europa. Das Deutsche Kaiserreich schaffte es außerdem, trotz des verspäteten Einstiegs, eine immense Menge an Leid anzurichten. Dazu gehört auch der Völkermord an den Herero und den Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika im heutigen Namibia, der erste Genozid des 20. Jahrhunderts.

Die hässliche Wahrheit über den europäischen Kolonialismus beinhaltet jedoch nicht nur Mord, sondern auch Raub, womit wir beim Thema des heutigen Spotlight sind. 60-90% der Bestände ethnologischer Museen in Europa stammen aus kolonialem Kontext. Das schätzt die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Es ist unklar, wie viel davon rechtmäßig erworben und wie viel gestohlen wurde. Diese Frage ist zentral für das Thema der Rückgabe kolonialer Sammlungsgüter, womit sich der Bundestag am Freitag befassen wird. Hierzu stehen Anträge von Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP sowie der AfD zur Debatte.

Wenngleich sich ihre Anträge im Detail unterscheiden, nehmen FDP, Linke und Grüne generell eine ähnliche Position ein. Letztere fordern ausdrücklich, europäische Museen zu verpflichten, nachweislich gestohlene Artefakte zur Rückgabe anzubieten. Die FDP will eine Pflicht zur Verhandlung auf Augenhöhe, vergleichbar mit der Washingtoner Erklärung. Auch Die Linke will eine gesetzliche Regelung zur Restitution. Allen drei Parteien zufolge müsse intensive Provenienzforschung, also die Herkunftsrecherche, betrieben werden. Hierzu fordern alle drei Parteien die elektronische Erfassung aller Bestände, Linke und Grüne wollen die Provenienzforschung durch staatliche Mittel unterstützen.

Die AfD hingegen will nur in Fällen von Raubgütern, die eine hohe symbolische Bedeutung für das Herkunftsland haben, über eine Rückgabe diskutieren. Außerdem schreibt sie die Beweislast für den Raub nicht den europäischen Museen, sondern ausdrücklich den kolonialisierten Ländern zu, deren Recherche dann durch eigene Provenienzforschung überprüft werden müsse. Generell zieht sie temporäre Leihgaben der Rückgabe vor, was aber die zentrale Besitzfrage ungeklärt lässt. Weiterhin warnt die AfD vor einem „Dominoeffekt” und der “sukzessiven Ausdünnung des Sammlungsbestandes der europäischen Museen” und bezeichnet die Debatte sowie das Eingestehen von Schuld als moralisch geprägt. Aus ihrer Sicht verdeckt dies den eigentlichen, geopolitischen Hintergrund. Besonders Frankreich, aber auch Deutschland wolle sich mehr außenpolitischen Einfluss auf Afrika sichern, weil asiatische Staaten in diesem Feld aktiver werden. In der Begründung ihres Antrags nennt die AfD weitere Argumente für ihre Position, die jedoch selbst einen kolonialen Hintergrund haben.

So wird ein Pariser Galerist zitiert, der afrikanischen Ländern unterstellt, sie hätten gar kein Interesse an der Kunst sondern nur den Wert der Artefakte auf dem europäischen Kunstmarkt. Weiterhin argumentiert die Partei, dass es viele Artefakte ohne die Konversation durch europäische Museen gar nicht mehr geben würde. Solche Argumente sind kolonial geprägt. Denn sie gehen davon aus, dass europäische Menschen befähigter sind, einen höheren Sinn für Kunst hätten, diese also besser wertschätzen könnten und sie daher auch besitzen sollten. Vor diesem Hintergrund ist auch das von der AfD angeführte Argument zu sehen, europäische Museen falle die Aufgabe der Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit zu.

Savoy, die anfangs erwähnte Kunsthistorikerin, führt außerdem das “Museum of Black Civilisations” in Dakar als Beispiel für die gute Konservation von Kunst in afrikanischen Ländern an. Die Gefahr von leerstehenden europäischen Museen durch die Rückgabe von Artefakten sieht sie nicht, auch weil Ansprüche zunächst erstmal auf solche erhoben werden, die einen besonderen kulturellen Wert für das Herkunftsland haben. Zumindest hier ist also eine Schnittmenge mit der Position der AfD vorhanden. Auch wenn die Frage, welche Güter von europäischen Ländern zur Rückgabe angeboten werden sollten, natürlich nicht mit der Frage gleichzusetzen ist, bei welchen Gütern afrikanische Länder eine Rückgabe fordern.

Während die Rückgabe kolonialer Sammlungsgüter das Hauptthema in den Anträgen ist, fordern insbesondere die Linken, eine grundlegende Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus. Dazu gehört für sie unter anderem die Bitte um Entschuldigung und Vergebung bei den Herero und Nama. Weiterhin will sie in Artikel 3, Absatz 3, Satz 1 des Grundgesetzes das Wort “Rasse” durch das Adjektiv “rassistisch” ersetzen, Namensgeber*innen wissenschaftlicher und staatlicher Institutionen hinterfragen und unabhängige Beschwerdestellen für Opfer rassistischer Polizeigewalt einsetzen. Auch die Grünen und die FDP gehen in ihren Anträgen über die Frage der Restitution hinaus, erstere setzen sich beispielsweise für eine zentrale Erinnerungsstätte für die Opfer des Kolonialismus in Berlin ein, während die FDP mehr Kolonialgeschichte auf deutschen Lehrplänen sehen möchte. Die AfD hingegen lehnt jegliche Ideen von Kollektivschuld oder Verantwortung im Hinblick auf den deutschen Kolonialismus ab.