Bereits zur Bundestagswahl 2021 haben wir von DEMOCRACY anhand von Realitychecks eindrucksvoll gezeigt, dass die Parteien des deutschen Bundestages in den Wahlprogrammen ihren Wählerinnen und Wählern Versprechungen machen, die dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten in der vorherigen Legislaturperiode nicht entsprachen.

Das jüngste Beispiel der Grünen zeigt allerdings, dass das Verhalten der Verantwortlichen auch nach der Wahl den Prophezeiungen aus den Programmen kolossal widersprechen kann. Im Programm der Partei Bündnis90/Die Grünen heißt es im September 2021: “Exporte von Waffen und Rüstungsgütern […] in Kriegsgebiete verbieten sich.” Noch klarer gab sich die Partei bei ihrer Gründung im Jahre 1980: Neben drei weiteren Grundsätzen wurde besonders die Gewaltfreiheit als eine Handlungsmaxime ausgerufen.

Dem entschieden entgegen steht der momentane Umgang der Bundespolitik mit Waffenexporten zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Allein bis Mitte April genehmigte die Bundesregierung, der die Grünen angehören, Waffenlieferungen an die Ukraine in Höhe von fast 200 Millionen Euro. Ganz offensiv tragen die Grünen die beschlossenen Maßnahmen mit, erst vor kurzem endete ein Sonderparteitag zur derzeitigen Lage in der Ukraine mit einem Beschluss, der herausstellt, dass zur Beendigung des Krieges eine “Unterstützung mit wirksamen, auch schweren und komplexen Waffen” notwendig sei.

Das Narrativ bei den Grünen hat sich um 180 Grad gewendet, das wird auch in Aussagen ranghoher Politikerinnen und Politiker der Partei deutlich. Erst letzte Woche stellte MdB Anton Hofreiter, der in der Debatte eine prominente Position einnimmt, dar, dass sogar Waffen allein eine neue Verhandlungsgrundlage mit Russland und seinen Verantwortlichen möglich machten.

Im gleichen Zuge widersprach er zudem Lars Pohlmeier, seinerseits Deutschlandvorsitzender der Organisation Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs, der davon sprach, dass Diplomatie “die einzige Lösung” zur Schlichtung des Konflikts sei. Diese Debatte unterstreicht den Wandel innerhalb der Partei, dessen Parteivorsitzende Annalena Baerbock noch kurz vor Beginn des Konflikts nahezu wortgleich verkündete, dass es bei der Diskussion um Waffenlieferungen nur eine Lösung gebe – “und die heißt Diplomatie”.

Insgesamt fällt das Echo der restlichen Partei zum Thema einigermaßen geräuschlos aus: Zwar setzte sich die Grüne Jugend in einem Änderungsantrag zum kleinen Parteitag in Düsseldorf Ende April für eine Ablehnung des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ein, doch auch sie lehnen die Waffenlieferungen scheinbar nicht mehr generell ab. Insgesamt lässt sich eine äußerst bemerkenswerte Wandlung der Parteibasis der Grünen feststellen, bewarfen beispielsweise 1999 noch Teile der gleichen Partei Ex-Außenminister Joschka Fischer mit einem Farbbeutel, als dieser sein Ja zum NATO-Einsatz im Kosovo erklärte.

Das vorliegende Beispiel der Waffenlieferungen zeigt wieder einmal sehr deutlich, wie wenig Verlass auf die Wahlprogramme ist. Ein neuartiger Aspekt daran ist, dass die Grünen ihre Position nicht wie üblich in Folge eines Koalitionskompromisses einbüßen, sondern sie seit der Regierungsbeteiligung selbständig aufgeben und lautstark das Gegenteil von dem fordern, wofür sie sich haben wählen lassen.

Es fällt schwer, nicht davon auszugehen, dass mit der im September 2021 beworbenen “Ablehnung von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete” gezielt Wählerstimmen gesammelt werden sollten. Außerdem hätte die Partei Einschränkungen dieser grundsätzlichen Ablehnung in einem Verteidigungsfall problemlos im Programm ausweisen können.

Um solche Überraschungen zu vermeiden, ist es wichtig, seine Wahlentscheidung nicht (mehr nur) auf Wahlversprechen, sondern vor allem auf das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Parteien und Politiker zu stützen.

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